Alle wahnsinnig

Er hat sicher lieber einen befreundeten als einen anderen wahnsinnigen Konkurrenten direkt hinter sich.

Richtig: ?

Ein Beistrich kann über den Sinn eines Satzes entscheiden. Wir wissen nicht, was hier eigentlich gemeint war, und vielleicht deckt es sich damit, was hier steht: Dass alle (es geht um Formel 1-Rennfahrer) wahnsinnig sind, dass es aber besser ist, von einem befreundeten Wahnsinnigen verfolgt zu werden als von einem, dem man völlig gleichgültig oder sogar verhasst ist.

Doch vielleicht fehlt hier ein Beistrich, nämlich, wenn die Aussage lauten sollte: Die befreundeten Konkurrenten verhalten sich noch einigermaßen verantwortungsbewusst, aber die anderen gebärden sich wie Wahnsinnige, weil sie um jeden Preis überholen wollen:

Er hat sicher lieber einen befreundeten als einen anderen, wahnsinnigen Konkurrenten direkt hinter sich.

Man mag den Unterschied als geringfügig betrachten, weil der Kontext und unser Vorwissen uns sagen, dass das Konkurrenzdenken zum Wesen eines Autorennens gehört, also auch befreundete Konkurrenten einander den Sieg nicht schenken, und “wahnsinnig” hier wohl nicht in einem pathologischen Sinn zu verstehen sein kann. Oft ändert der Beistrich die Aussage jedoch wesentlich:

Bei einer Foto-Auktion von WestLicht am Freitagabend erreichte die „wohl größte, aus privater Hand stammende Sammlung von NASA-Fotografien“ mit 240.000 Euro den höchsten Zuschlag.

Dies stammt aus einem Medienbericht, der aus der Aussendung des Auktionators zitiert. Können wir der Aussage vertrauen, dass die größte existierende Sammlung von NASA-Fotografien in privater Hand ist (bzw. war), oder ist nicht doch gemeint:

…die wohl größte aus privater Hand stammende Sammlung von NASA-Fotografien…

denn wahrscheinlich befindet sich die größte Sammlung von NASA-Fotografien doch im Archiv der NASA selbst.

Es gibt Satzkonstruktionen, deren Sinn von der Position des Beistrichs abhängt, speziell bei Verneinungen. Ohne Beistrich hat der einzelne Satz keine klare Aussage:

Er öffnete das Schutzventil nicht ohne  Bedenken, was er dadurch anrichten könnte.

Wir merken es nicht einmal sofort, denn wir lesen den Satz zunächst so, als fehlte der Beistrich hinter “Schutzventil”. Der Betreffende öffnet das Ventil, macht sich aber Gedanken darüber, ob das nicht falsch gewesen sein könnte. Stellt man sich hingegen den Beistrich hinter “nicht” vor, dann sind der nicht handelnden Person die Folgen egal. Es hängt vom Kontext ab, welche Version wahrscheinlicher ist, und erst im weiteren Verlauf des Textes wird in der Regel klar, was gemeint war.

Die Lockerung der Beistrichregeln kann vor allem bei jenen, die schon die alten Regeln missverstanden haben und dazu neigen, Beistriche über den Text zu verteilen wie Streusel über einen Kuchen, zur völligen Anarchie in der Zeichensetzung führen. Daraus ergeben sich oft Sinnverschiebungen, die von den Lesern möglicherweise nicht korrigiert werden können — mit peinlichen Folgen:

Ich freue mich über dein großes Geschenk nicht besonders erfreut bin ich, natürlich über das Missgeschick das dir widerfahren ist.

Es kommt einzig und allein auf die Tagesform von Empfänger oder Empfängerin an, wie dieser Brief aufgenommen wird…