Zu ernst für flotten Titel

Bei einer heftigen Explosion in der Mariahilfer Straße (…) in Wien-Rudolfsheim-Fünfhaus am Samstagvormittag ist ein Haus eingestürzt.

Richtig ist: …ist ein Haus teilweise eingestürzt.

Der vollständige Einsturz eines Hauses, sodass nur noch Trümmer übrigbleiben, ist zum Glück selten. Die Bilder von der kompletten Zerstörung der beiden World Trade Center-Türme haben sich in unser kollektives Gedächtnis eingegraben. Auch Erdbeben oder grobe struktuelle Baumängel können ein Bauwerk komplett zusammenbrechen lassen. Der Haupttrakt des Kölner Stadtarchivs brach im März 2009 ein, weil unter ihm der durch Tunnelarbeiten ausgehöhlte Boden nachgab. Von Gebäuden, die breiter sind als hoch, bleibt meistens der größere Teil stehen, wenn die Ursache des Schadens eine punktuelle Gewalteinwirkung war, zum Beispiel, wie im Fall des Wiener Hauses, eine Gasexplosion. Manchmal bricht ein Flügel oder Trakt des Gebäudes ein, manchmal “nur” der Dachstuhl oder Teile von Geschoßen. Da viele Faktoren den Verlauf eines solchen Ereignisses beeinflussen können, ist das Endergebnis immer individuell und nicht einmal dann vollständig vorherzusehen, wenn erfahrene Sprengteams Abbruchhäuser zu Fall bringen sollen.

Trotzdem präsentieren Internet-Suchmaschinen Bilder von Gebäuden in sehr unterschiedlichen Zuständen der Verwüstung, wenn unter dem Schlagwort “Hauseinsturz” gesucht wird: von teilweise beschädigten bis zu solchen, die nur mehr ein Schuttkegel sind. Suchmaschinen beschlagworten, was sie im Internet finden. Es sind also diejenigen, die Bilder ins Netz stellen und benennen oder beschreiben, die eine so ungenaue Vorstellung von einem “Hauseinsturz” haben. Das sind, da katastrophale Ereignisse nach wie vor auch im Internet am nachhaltigsten von den Nachrichtenmedien vermittelt werden, die Presseagenturen und Medienredaktionen. Deren Wortschatz hat sich, besonders bei Schlagzeilen und Kurzmeldungen, dramatisch pauschalisiert. Für Differenzierungen ist weder Platz noch Bereitschaft, die vom Unglück betroffenen Objekte werden entweder als eingestürzt, zerstört oder abgebrannt bezeichnet, gleichgültig, wieviel davon wirklich zerstört wurde. Beim Konsumenten hält sich dadurch ein permanenter Verdacht der Übertreibung: Wenn, wie 2001 in New York, von Gebäuden tatsächlich nur mehr ein Trümmerhaufen übrig ist, kann sich die Entrüstung über das Berichtete leicht zunächst gegen die Medien richten, die scheinbar wieder einmal eine hysterische Falschmeldung lanciert haben (wenn nicht das Korrektiv aktueller Fernsehbilder zur Verfügung steht).

Auch das Wiener Wohnhaus ist, sagen die Schlagzeilen, eingestürzt: Schockiert und auf das Schlimmste gefasst erwartet man nur noch Staub und Mauerreste. Dabei gehe ich von einer Definition des Wortes “eingestürzt” aus, die ein weitgehendes Versagen der Statik eines Hauses und die Auflösung seiner baulichen Konstruktion beschreibt. “Stürzen” sagt zudem aus, dass die Schwerkraft eine destruktive Rolle spielt, dass also die Konstruktion ihrem Gewicht nichts mehr entgegensetzen kann. Ganz simpel ausgedrückt: Was bisher oben war, ist jetzt unten.

Das Wohnhaus in Wien besteht aus vier unterschiedlich hohen und breiten Gebäudeteilen, die einen Hof umschließen. Der linke und der vordere Teil sind zur Straße orientiert. Eine Gasexplosion im dritten Stock des vorderen Teils riss zunächst den betroffenen Bereich auseinander, dann stürzten die nach oben gedrückten Trümmer soweit hinunter, bis sie auf intakt gebliebenen Gebäudeteilen stehen blieben, oder rutschten hinaus auf die Straße. Der zerstörte Bereich ist hier rot markiert:

Einsturz ist hier das falsche Wort

Was tatsächlich geschah, ist schon schlimm genug und bedarf keiner sprachlichen Dramatisierung. Der Fehler liegt nicht in der Verwendung von “einstürzen”, sondern in der Ungenauigkeit der Bezeichnung dessen, was eingestürzt ist. Gerade mit einem Bedeutungsfeld, das mit Zerstörung, Verletzung und Tod assoziiert wird, sollten Medien nicht beliebig umgehen. Eine möglichst exakte Beschreibung eines solchen Ereignisses ist Vertrauenssache. Und man kann nur hoffen, dass nicht absichtlich das Wort ausgesucht wurde, das den größtmöglichen Schaden signalisiert, um das Gewicht der Meldung zu vergrößern.

Ähnliche Beispiele:

Wiener Schloss Neugebäude beinahe abgebrannt

In der Kurzmeldung dazu erfährt man, dass ein Imbissstand neben dem Schloss in Brand geraten war und die Feuerwehr eine Beschädigung des Schlosses durch die Flammen verhindern konnte. Dazu muss man wissen, dass das Schloss, das jahrhundertelang nur mehr aus nackten Mauern und einem notdürftig schützenden Dach bestand, auch nach einer restauratorischen Bestandssicherung in diesem Zustand ist, obwohl es mit einer technischen Ausstattung versehen wurde, um die Räume für Veranstaltungen vermieten zu können. Es gibt darin und daran zweifellos brennbare Substanzen und Teile, doch die Vorstellung, die sich mit “abbrennen” verbindet, könnte sich nicht verwirklichen, selbst wenn das Dach in Brand geriete. “Abbrennen” bedeutet nämlich, dass das abbrennende Objekt vom Feuer “verzehrt” und zu Asche wird. Diese Bedeutung spiegelt sich auch in der einschränkenden Formulierung, ein Haus sei “bis auf die Grundmauern abgebrannt”.

Luxushotel in Las Vegas stand in Flammen

Man stellt sich darunter einen Vollbrand vor, denn “in Flammen stehen” ist synonym für “von Flammen eingehüllt sein”. Man weiß, auch wenn man noch nie dort war, dass in Las Vegas Luxushotels in der Regel riesig sind, und befürchtet anhand der Schlagzeile eine große Brandkatastrophe. Berichtet und in einem Video gezeigt wird dann, dass auf der Poolterrasse im 14. Stock der Hotelanlage “Palmen und Liegestühle” in Brand geraten waren, wenn auch mit spektakulärer Flammen- und Rauchentwicklung. Zweifellos eine Erleichterung, dass nicht mehr geschehen ist, aber auch Ernüchterung, dass man von der Schlagzeile (wieder einmal) irregeführt wurde. Vielleicht war der Grund dafür ein rein sprachlicher. Es gibt keine adjektivische Form von “Las Vegas” – ein Hotel in New York ist ein New Yorker Hotel, der Bericht über einen Brand in diesem Hotel ist einfach mit “Brand in New Yorker Hotel” zu übertiteln, ein “Brand in (einem) Luxushotel in Las Vegas” klingt vergleichsweise etwas holprig. Doch vielleicht wäre dies auch egal gewesen, bliebe die sachliche Umschreibung brennender Liegestühle und Palmen auf einer Poolterrasse nur nicht gar so nüchtern und schmucklos. “Luxushotel steht in Flammen” motiviert viel mehr dazu, sich die Meldung näher anzusehen…

Im vergangenen Jahr wurde die Haselnussernte in der Türkei […] durch Frost zerstört.

Die ganze Haselnussernte? Nein! Ein von unbeugsamen Haselnüssen bevölkerter Baum hört nicht auf, dem Frost Widerstand zu leisten… Doch wir sind nicht in Gallien und unsere Informationsquelle ist kein Asterix-Band, sondern ein aktuelles Nachrichtenmagazin, daher sollten wir auf der Hut sein. Tatsächlich, zwei Sätze später erfahren wir, dass zum Glück nur ein Drittel der Ernte vernichtet worden ist. Warum nicht gleich? “Zerstören” heißt “vernichten”, “völlig unbrauchbar machen”. Wurde nicht alles zerstört, dann ist “zerstören” das falsche Wort, wenn es nicht durch eine zusätzliche Information eingeschränkt wird: Ein Drittel der Haselnussernte wurde durch Frost zerstört.

Notre Dame wird wieder aufgebaut

So tragisch und tiefgreifend das tatsächliche Ausmaß der Beschädigung ist – das Dach und das Gewölbe der Vierung sowie Teile des Langhausgewölbes sind ja effektiv zerstört –, wenn man Notre Dame wirklich “wieder aufbauen” müsste, wäre und bliebe diese Kathedrale wohl Vergangenheit, denn dann wäre sie vollkommen zerstört.