Georg Büchner: Lenz, 1839

Nur manchmal, wenn der Sturm das Gewölk in die Täler warf, und es den Wald herauf dampfte, und die Stimmen an den Felsen wach wurden, bald wie fern verhallende Donner, und dann gewaltig heran brausten, in Tönen, als wollten sie in ihrem wilden Jubel die Erde besingen, und die Wolken wie wilde wiehernde Rosse heransprengten, und der Sonnenschein dazwischen durchging und kam und sein blitzendes Schwert an den Schneeflächen zog, so daß ein helles, blendendes Licht über die Gipfel in die Täler schnitt; oder wenn der Sturm das Gewölk abwärts trieb und einen lichtblauen See hineinriß, und dann der Wind verhallte und tief unten aus den Schluchten, aus den Wipfeln der Tannen wie ein Wiegenlied und Glockengeläute heraufsummte, und am tiefen Blau ein leises Rot hinaufklomm, und kleine Wölkchen auf silbernen Flügeln durchzogen und alle Berggipfel scharf und fest, weit über das Land hin glänzten und blitzten, riß es ihm in der Brust, er stand, keuchend, den Leib vorwärts gebogen, Augen und Mund weit offen, er meinte, er müsse den Sturm in sich ziehen, Alles in sich fassen, er dehnte sich aus und lag über der Erde, er wühlte sich in das All hinein, es war eine Lust, die ihm wehe tat; oder er stand still und legte das Haupt in’s Moos und schloß die Augen halb, und dann zog es weit von ihm, die Erde wich unter ihm, sie wurde klein wie ein wandelnder Stern und tauchte sich in einen brausenden Strom, der seine klare Flut unter ihm zog.

Georg Büchner: Lenz, 1839. Online: Projekt Gutenberg

Gleich zu Beginn ein Widerspruch; es wird ausdrücklich nicht empfohlen, diesen atemlosen Rausch zwischen Beobachtung und Ekstase, Präzision und Halluzination, Prosa und Poesie nachzuahmen. Gelingen wird es ohnehin nicht. Man steht vor dem Text wie vor einem Naturphänomen (als thematische Analogie). Eine Kostprobe, wie Sprache wirken kann. Wir haben es mit einem extrem langen Satz zu tun, dessen “Skelettteile” (“Nur manchmal… riss es ihm in der Brust”) sehr weit auseinander liegen. Trotzdem haben auch wir, die wir indessen auf möglichst kurze Sätze kondizioniert sind, kaum Schwierigkeiten, die Aussage in allen Facetten zu erfassen, weil hier sehr viele kurze Sätze aneinandergereiht werden. Die Beistriche, die signalisieren, dass der Satz noch immer nicht zu Ende ist, die Verbindungen durch “und”, die uns keinen Halt und keine Pause gönnen, bewirken den Eindruck der Dynamik und Atemlosigkeit. Die einzelnen Elemente, die hier durchgetrieben werden, sind jedoch für sich gesehen klar und abgegrenzt und sagen immer genau, was und wo sie sind.