Max Frisch: Tagebucheintrag, 1969

Hotel im guten alten Stil. Nichts großkotzig. […] Nicht wie Hilton-Hotels für Großverdiener ohne Tradition; diese Hotellerie weiß, wie Aristokraten zu Hause leben — so wie hier: schlicht und zuverlässig und unaufdringlich bedient, eben nicht großkotzig, wenn auch von Kindsbeinen an gewohnt, daß uns jemand die Wagentüre öffnet und abends unser Pyjama*) aufs Bett legt mit gefalteten Ärmeln, als bete es schon.

*) "Pyjama" ist in der Schweiz ein Neutrum.
Max Frisch: Tagebucheintrag Vulpera-Tarasp, Juni 1969, Aus:
Tagebuch 1966-1971

Genaue Beobachtung, die aus Distanz entsteht und Distanz schafft, aber erst lebendig wird durch das Weiterdenken, das aus den gefalteten Ärmeln eines Pyjamas die ganze starre Prädestination eines derart behüteten Lebens herausliest. Oder in sie hineinliest. Wohl beides, denn es wird eine Beziehung hergestellt zwischen dem vorbereiteten Nachtgewand und dem gesamten System der Dienstbereitschaft und Diensterwartung, wofür der Pyjama ein Zeichen ist; und zwischen diesem System und seiner Einbettung in eine konservative Gesellschaft mit ihren Richtlinien und einer ganz bestimmten Art der Religionsausübung, wofür das obligatorische Nachtgebet steht. Jedenfalls ist die Stelle geeignet, um sich bewusst zu machen, welche Wirkung solch präzise Rhetorik hat, die sich echter, aus der Situation bezogener Analogien bedient (gefaltete Ärmel – gefaltete Hände), und zugleich, welche Geistesgegenwart sie voraussetzt. Es gibt sie nicht nur in der Literatur, sondern auch bei volkstümlichen ikonischen Wortbildungen wie “Bierpinsel” (für einen Restaurantturm in Berlin-Steglitz) und “Jonasreindl” (für eine 1960 vom damaligen Wiener Bürgermeister Franz Jonas eröffnete Straßenbahnunterführung). Viel häufiger ist leider die gedankenlose Anwendung fertiger Metaphern, die zu nichtssagenden, oft auch lächerlichen Ergebnissen führt. Von Letzterem kann man sich immer wieder z.B. in der Rubrik “Hohlspiegel” des Hamburger “Spiegel” überzeugen (“Schwein am Spieß läutet Grillsaison ein”)**).

**) Pressedienst des Bayerischen Bauernverbands, in: 
Der Spiegel, 15.05.2006, S. 210