Schwer zu sagen

Ein technisches Gebrechen schloss RENFE aus. Der Schnellzug sei noch am selben Tag einer technischen Inspektion unterzogen worden (…).

Richtig ist z.B.:

Der Schnellzug sei an diesem Tag noch vor der Unglücksfahrt einer technischen Inspektion unterzogen worden.

besser wäre:

Der Schnellzug sei zuletzt … Stunden vor der Unglücksfahrt einer technischen Inspektion unterzogen worden.

Das Zitat stammt aus einem frühen Bericht über das schwere Unglück, das am 24. Juli 2013 um 20.42 Uhr kurz vor Santiago de Compostela den spanischen Hochgeschwindigkeitszug Alvia 04155 traf. Die Zeit spielt für uns deshalb eine Rolle, weil wir, um uns zu orientieren, mit Wahrscheinlichkeiten operieren müssen. Es ist möglich, aber nicht wahrscheinlich, dass zwischen Viertel vor neun und Mitternacht Verantwortliche der Bahn eine technische Inspektion des Zugwracks veranlassten, aus dem und um das herum an einer schwer zugänglichen Stelle 139 Verletzte zu retten und 79 Tote zu bergen waren. Nach menschlichem Ermessen unmöglich ist, dass eine solche Inspektion angesichts der Umstände innerhalb von wenigen Stunden abgeschlossen sein und ein technischer Defekt deswegen bereits ausgeschlossen werden konnte. “Noch” signalisiert, dass ein Ereignis vor dem Ende eines gegebenen Zeitrahmens eintritt:

Da sich auf der Messe niemand für seine Produkte interessierte, reiste er noch am selben Tag enttäuscht ab.

Sie erhielt den Auftrag, auf den sie schon lange gewartet hatte, und führte ihn noch am selben Tag aus.

Wenn die Plazierung von “noch” hier falsch ist, muss die Inspektion vor dem Unglück stattgefunden haben, und zwar, da Inspektionen nicht an fahrenden Zügen durchgeführt werden, am selben Tag irgendwann vor 15 Uhr, der Abfahrtszeit des Zuges in Madrid. Doch wie drückt man dies am besten aus, wenn zugleich betont werden soll — wie es ja durch das “noch” eigentlich beabsichtigt war — , dass die Inspektion unmittelbar vor dem Unglück ein technisches Gebrechen unwahrscheinlich macht? Denn, das darf man nicht vergessen, es handelt sich um eine indirekt wiedergegebene Aussage des Bahnunternehmens.

“Schon” zeigt normalerweise an, dass etwas früher passiert oder getan wird als erwartet:

Der Schnellzug sei schon am selben Tag einer technischen Inspektion unterzogen worden.

Doch interessanterweise ist hier die Funktion eine ähnliche wie bei “noch”, auch “schon” versetzt die beschriebene Handlung auf einen Zeitpunkt nach dem Unglück, doch mit der positiven Konnotation, dass schnell gehandelt wurde.

Man könnte annehmen, dass auch “erst”, das ebenfalls einen relativen Zeitbezug anzeigt, einen ähnlichen Effekt hat. Das ist jedoch offensichtlich nicht der Fall:

Der Schnellzug sei erst am Vormittag des Unglückstages einer technischen Inspektion unterzogen worden.

Die Beteuerung, dass ein technisches Gebrechen wegen dieser Inspektion unwahrscheinlich sei, würde noch deutlicher, wenn vor dem erst ein doch stünde. Aber das wäre eine informelle Formulierung, die in einer offiziellen Stellungnahme nicht so stehen dürfte. Immer klarer wird, dass eine konkrete Angabe über den Zeitpunkt der Inspektion das Problem gar nicht erst entstehen hätte lassen. Dann könnte nämlich in diesem Satz stehen, wann der Zug zuletzt inspiziert wurde.