Die Unterschied-Macher

Digital-Globe-Manager Luke Barrington glaubt dennoch daran, dass die zehn am häufigsten markierten Hinweise der Community auf Tomnod.com einen Unterschied machen könnten.

Richtig ist z.B.:

… glaubt dennoch daran, dass die zehn am häufigsten markierten Hinweise … auf die Spur des vermissten Flugzeugs führen könnten. 

Es geht bei dem Bericht um den verschollenen Flug MH370 der Malaysia Airlines und um die Crowdsourcing-Website Tomnod.com. Diese veröffentlichte Satellitenaufnahmen der Meeresgebiete, wo der Flug nach diversen Berechnungen sein Ende gefunden haben könnte. Die Firma Digital Globe, der diese Website gehört, wollte die Gemeinschaft aller Internet-User auf den Bildern nach Auffälligkeiten suchen lassen, die vielleicht die Lage des Wracks verrieten. Alles Verdächtige sollte gemeldet werden, und je häufiger Hinweise auf eine bestimmte Stelle deuteten, für desto wahrscheinlicher hielten es die Initiatoren, dass sich dort eine konkrete Spur befand. Eine der zehn am häufigsten genannten Stellen, so ihre Hoffnung, könnte tatsächlich einen Wrackteil zeigen und damit den Ort des Absturzes markieren.*

Damit wäre ein Anfang gemacht, ein entscheidender Schritt gemacht. Aber ein Unterschied?

“Einen Unterschied machen” (to make a difference) ist der dritte anglizistische Import neben “Sinn machen” (to make sense) und “Liebe machen” (to make love), der sich im deutschen Sprachgebrauch durch die pauschale Gleichsetzung von “to make” und “machen” eingenistet hat. Es handelt sich im Prinzip um “false friends”, ein Begriff, der das Synonymsetzen von scheinbar identischen, weil gleich oder ähnlich geschriebenen Wörtern im Englischen und Deutschen bezeichnet. “Friends” deswegen, weil sie den Übersetzern das Leben erleichtern könnten, wenn es wirklich so wäre, und “false”, weil sie uns das Leben schwer machen, wo es eben nicht so ist. Das Bedeutungsspektrum von “to make” ist wesentlich breiter als jenes von “machen”, es reicht von Bedeutungen, die auch das deutsche Wort hat (herstellen, etwas verursachen, bewirken, verwandeln, ergeben), über werden und sein bis zu darstellen, bedeuten, repräsentieren, erreichen oder bringen. Das heißt vorerst nur, dass bei einer direkten Übernahme von Redewendungen aus dem Englischen, die im Deutschen so als Wörter, aber nicht als Wendung existieren, mit Bedeutungskollisionen gerechnet werden muss.

  1. “Making a difference” bewegt sich im Bedeutungsbereich von etwas begründen, ergeben (ein Resultat) oder bewirken. Es geht nicht um das Abstrakte an sich: Man kann Unsinn machen, Fehler machen, einen drauf machen, es nicht mehr lange machen, sich nichts aus etwas machen, sich auf den Weg machen oder ins Bett machen. “Machen” ist sogar mehr auf abstrahierenden Gebrauch ausgerichtet als “to make”, wenn man von der Grundbedeutung herstellen ausgeht, denn es verweist eher auf die Arbeit (“ich mache das für dich” — “I’ll do it for you”) als auf das Werkstück (“Ich mache einen Stuhl” — “I make a chair”). Wieso kann man dann keinen Unterschied machen? Erstens, weil der Unterschied eine Sache der Wahrnehmung ist, und niemand hat es gern, wenn seine Wahrnehmung “gemacht” wird. Zweitens, weil wir “es” einen Unterschied “machen” lassen wollen — das sind zu viele Abstraktionen in einer Metapher, die eigentlich dazu dienen sollte, eine allgemeine Aussage konkret greifbar zu machen.
  2. Etwas kann aber einen Unterschied ausmachen. Die Parallele ergibt sich besonders deutlich, wenn wir die “false friend”-Übersetzung auf den Unterschied selbst ausdehnen und ihn zur Differenz werden lassen: Zumindest umgangssprachlich macht z.B. 9 minus 7 eine Differenz von 2, hochsprachlich macht die Differenz zwischen neun und sieben zwei aus, oder sie ist oder ergibt zwei. Wie bitte? Ist Das macht einen Unterschied wirklich im Prinzip dasselbe wie Das macht zusammen 10 Euro?

Wenn Amerikaner von “to make a difference” sprechen, meinen sie in der Regel nicht irgendeinen Unterschied. Es geht dann meistens um Werte — im Sinn eines moralischen Mehrwerts, der durch eine  bestimmte Handlung erzielt wird. Sich um jemanden oder etwas kümmern, nicht wegsehen, sich für etwas einsetzen, einen Beitrag für das Gemeinwohl leisten: Der Unterschied zwischen Indifferenz und Engagement für eine Idee oder Sache wirkt sich dahingehend aus, dass etwas bewegt wird. “To make a difference” wird in der Regel so verstanden und verwendet, dass sich im positiven Sinn etwas tut. Es gibt eben auch im Deutschen dafür Ausdrücke, etwas (Positives) bewirken oder bewegen. Das Verb “machen” aus der Redewendung “einen Unterschied machen” zu entfernen ist also nur die halbe Lösung, auch der “Unterschied” gehört nicht hierher.

Im Beispiel ist mit “Unterschied” allerdings nicht so sehr der moralische Mehrwert gemeint — Crowdsourcing funktioniert nur, wenn man den Beteiligten ein wenig Nervenkitzel oder das Gefühl gibt, bei etwas “Größerem” dabeizusein — als darum, ein geeignetes Mittel zu finden, mit dem ein bestimmtes Ergebnis erzielt werden kann. Die Maßnahme, ungeheuer vielen Menschen gleichzeitig Material vorzulegen, damit sie es unter die Lupe nehmen, soll etwas bringen. Das wäre auch eine ziemlich genaue deutsche Umschreibung für “to make a difference” in diesem Zusammenhang, wäre es nicht der Umgangssprache entnommen, die in einem “seriösen” hochsprachlichen Medium, noch dazu in einem Bericht zu einem ernsten Thema, nichts zu suchen hat.

Es hilft immer, genau zu sein und zu fragen: Worum geht es eigentlich? Sowohl “einen Unterschied machen” als auch “etwas bringen” sind relative Begriffe, die sich auf alles beziehen und jede Gestalt annehmen können. Um das Problem zu lösen, gehen wir doch einfach zurück zur Sache selbst: Ein verschollenes Flugzeug muss gefunden werden. Die Konkretisierung führt von den Worthülsen weg zur eindringlichen Erinnerung an ein Wrack mit 239 Toten, das auf dem Meeresboden liegt, und einer verzweifelten Suche nach dessen Spuren.

* Insgesamt sammelte die Website ca. 12,8 Mio. Eingaben, dabei wurden ca. 2,85 Mio. Hinweise auf Wrackteile registriert, von denen aber kein einziger tatsächlich zum Wrack der Boeing 777 führte (Stand: 20.12.2014, Quellen: www.tomnod.com, digitalglobe.com).