Was wir lernen sollten
Immer mehr Menschen, oft in instabilen Lebensverhältnissen, suchten den Wohlfühlkick, Ärzte lernen erst seit einigen Jahren, welchen Geist sie da aus der Flasche gelassen hatten.
Richtig wäre z.B.:
Erst vor einigen Jahren begannen Ärzte zu begreifen, welchen Geist sie da aus der Flasche gelassen hatten.
Lernen ist…
…gut, Lernen ist wichtig. Wir lernen in der Schule, wir lernen für das Leben, wir lernen aus Fehlern, wir erlernen ein Handwerk, wir lernen für eine Prüfung, wir lernen eine Sprache, wir lernen nicht aus der Geschichte. Lernen steht für die Vorstellung, sich Wissen, eine Einsicht, eine Fertigkeit etc. meist schrittweise und möglichst dauerhaft anzueignen mit dem Zweck, sie nutzbringend zu verwenden. Was wir lernen, wird im Idealfall langfristig unser Verhalten und unsere Entscheidungen für uns sinnvoller und erfolgreicher machen.
Auch im Englischen ist das so. Doch es gibt dort auch eine intransitive Bedeutung, also eine ohne Akkusativobjekt, und zwar dafür, dass wir etwas erfahren, eine Information aufnehmen, die ausschließlich oder primär unser Wissen über – ganz allgemein gesagt – die Welt vergrößert. Dabei geht es meist um Informationen, die, wenn überhaupt, einen kurzfristigen Effekt auf uns haben.
When we arrived at the station we learned that we had just missed the last train.
Daraus kann man zwar lernen, dass es klug wäre, sich rechtzeitig über den Fahrplan zu informieren, aber dass man den Zug verpasst hat, lernt man im Deutschen nicht. Man stellt es fest, kommt darauf, erfährt es, erkennt es, wird dessen gewahr.
Man lernt etwas, das bereits von anderen erkannt worden ist – in der Schule beispielsweise –, oder man lernt aus eigenen Erfahrungen und Erkenntnissen. Lernen ist ein zweiter Schritt, der auf eine Erkenntnis folgt.
Für Karawanen verboten
False Friends sind nicht Ergebnisse freier Entscheidung, auch wenn ihre Anwender das glauben. Sie entstehen aus mangelnder Kenntnis der Ausgangssprache und mangelnder Kenntnis der Zielsprache. Bei letzterer am häufigsten, was den Wortschatz betrifft. Nicht, dass es keine passenden Wörter im Deutschen gäbe, doch die False Friend-Wortklauer suchen nicht danach und finden es einfacher zu nehmen, was ihnen die Ausgangssprache schon vor die Nase hält, wenn es nur so ähnlich aussieht wie ein deutsches Wort, das sie kennen. Was bei to learn der Fall ist – lernen, oder? Wozu weitersuchen?
Diese Praxis an sich ist schon grimmig genug und wird zur Satire, wenn einige der Wortklauer mit Faulheit oder Zeitnot gepaarte sprachliche Kurzatmigkeit als schöpferisch und Bereicherung des Deutschen ausgeben. Dieselben, die nichts dagegen haben, jede Bedeutung von to learn mit lernen zu übersetzen, wollen uns ja auch weismachen, dass es eine Bereicherung wäre, wenn statt ich glaube, ich meine, ich finde, ich halte … für …, ich mutmaße, ich nehme an in jedem beliebigen Kontext I think nur noch mit ich denke übersetzt wird. Übersetzt? Die Ansteckung der Sprache mit False Friends passiert zuerst dort, wo sie ständig mit fremdsprachigen Texten in Berührung kommt, in den Medien und bei der Film- und TV-Synchronisation, und setzt sich von dort aus selbstständig fort.
Wie es euch gefällt
Warum? Insgesamt herrscht im deutschen Sprachraum eine große hochsprachliche Unsicherheit, wie wahrscheinlich in jedem anderen Sprachraum auch, man muss sich nur die englischen Wortmeldungen von native speakers in den sozialen Netzwerken ansehen. Diese Unsicherheit war vielleicht immer groß (und wurde durch die Rechtschreibreform nicht verkleinert, im Gegenteil). Sie wird aber durch die Zunahme textbasierter Kommunikation in den Netzwerken und mobilen Anwendungen (SMS, WhatsApp etc.) einerseits öffentlich und andererseits popularisiert, sodass sie in weiten Bereichen kein soziales Kriterium mehr ist. Man schämt sich nicht mehr deswegen und schreibt, wie weiland in der Barockzeit, wie es grade kommt. Texte, die nach wie vor einer Norm unterliegen, leiden unter diesem wachsenden Auseinanderklaffen der schrift(sprach)lichen Konvention und ihrer geduldeten Individualisierung. Die permanente mediale Präsenz des Englischen verlangt aber nach einem sicheren Beherrschen der Konvention, das ist eine Grundforderung des Verstehens und guten Übersetzens.
False Friends entstehen aus dem Missverständnis, dass gleiche Form in beiden Sprachen gleiche Bedeutung einschließt, und sind daher bei miteinander verwandten Sprachen am häufigsten. Es geschieht auf verschiedenen Ebenen, vom einzelnen Begriff wie in diesem Fall bis zur grammatischen Konstruktion (“sie promovierte in 1906”) und idiomatischen Wendung (“am Ende des Tages”). Man sollte nicht das Einwandern fremdsprachiger Bestandteile in die eigene Sprache grundsätzlich kritisieren, sondern den Einzelfall, wenn die Gründe dafür im Mangel an Sprachkompetenz liegen und wenn die Mächtigkeit der Sprache darunter leidet. Weniger bombastisch ausgedrückt: Wenn es jemand aus Ahnungslosigkeit eingeführt hat und man danach weniger sagen kann als vorher.