Rasende Legenden

Zudem rasen die Ski-Legenden wie Franz Klammer oder Annemarie Moser-Pröll in den Zielraum.

Wer diese Ski-Legenden sind, die im Stil einer der beiden genannten österreichischen Ski-Ikonen in den Zielraum rasen, wird in diesem Satz nicht verraten, aber vielleicht in einem der vorhergehenden — immerhin weist der bestimmte Artikel, in der Rolle eines Demonstrativpronomens, darauf hin, dass der Begriff, der ganz ähnlich wie eine Variable in einem Programmcode funktioniert, zuvor bereits ausreichend definiert wurde. Zum Beispiel so:

Als besonderer Aufputz zeigen sich österreichische Ski-Legenden bei der Eröffnungsfeier. Zudem rasen die Ski-Legenden wie Franz Klammer oder Annemarie Moser-Pröll in den Zielraum.

Diese Erwartung wird nicht erfüllt. Die Ski-Legenden werden vorher nicht erwähnt. Außerdem gibt es hier ein weiteres Problem. Wir hoffen nämlich, dass bei diesem wichtigen Ereignis — es handelt sich immerhin um die Eröffnung von Ski-Weltmeisterschaften im steirischen Ort Schladming — auch Franz Klammer und Annemarie Moser-Pröll höchstpersönlich wieder einmal ihr Können gezeigt haben. Das verrät uns der Satz leider nicht. Doch die Hoffnung ist noch nicht gestorben, denn wir glauben einfach nicht, dass der Autor hier wissentlich auf Beistriche verzichtet hat. Er lässt uns nämlich, was man bei einer Information nicht so gerne hat, die Wahl zwischen mehreren Interpretationsmöglichkeiten, z.B.:

  1. “Die Ski-Legenden” ist der Name einer Volksmusikband, eines Vereins aus nicht mehr aktiven Rennläufern oder einer Gruppe von Ski-Artistinnen etc. Zum Erstaunen des Publikums rast diese Gruppe während der Eröffnungsfeier auf Skiern in den Zielraum. Ob sie das wie früher Franz Klammer oder wie Annemarie Moser-Pröll tut, ist noch nicht entschieden.
  2. Alle Ski-Legenden, die noch fähig sind, Ski zu fahren, rasen in den Zielraum, entweder wie Franz Klammer oder wie Annemarie Moser-Pröll.
  3. Es geht tatsächlich um Ski-Legenden wie die beiden Genannten. Ob diese jedoch an der Raserei teilnehmen, bleibt offen.

Wenn sich das Deutungspotenzial des Satzes, so wie er ist, ohne befriedigendes Ergebnis erschöpft hat, dürfen wir beginnen, den Satz vorsichtig zu verändern, bis wir einen darin vermuteten Sinn sichtbar gemacht haben. Wir setzen Beistriche, und siehe da:

Zudem rasen Ski-Legenden, wie Franz Klammer und Annemarie Moser-Pröll, in den Zielraum.

Damit haben wir mittels weniger Veränderungen klar gemacht:

  1. Wir haben es mit Ski-Legenden vom Format eines Franz Klammer und einer Annemarie Moser-Pröll zu tun.
  2. Auch die beiden machen mit.
  3. Jede(r) fährt nach eigener Art, ohne jemanden zu imitieren.

Die offiziellen Rechtschreibregeln des Rats für deutsche Rechtschreibung bereiten solchen Missverständnissen leider den Boden, weil sie für mit “wie” eingeleitete Wortgruppen in einer Regel (§ 74/3) keinen Beistrich vorschreiben, es in einer ergänzenden Regel (§ 78/2) für Wortgefüge mit “wie” dem “Ermessen des Schreibenden” aber wieder freistellen, “ob er etwas mit Komma als Zusatz oder Nachtrag kennzeichnen will oder nicht”. Dass man es tun muss, wenn der Zusatz zwei mögliche Bezüge hat (“rasen wie” oder “Skilegenden wie”), die unterschiedliche Aussagen zur Folge haben, sehen die Regeln nicht vor. Die Beistriche hätten allerdings wegfallen können, wenn man zum “wie” ein einfaches “zum Beispiel” hinzugesetzt hätte:

…rasen Skilegenden wie zum Beispiel Franz Klammer oder Annemarie Moser-Pröll in den Zielraum.

Siehe auch: Alle wahnsinnig